Es ist die erste Weihnachtsfeier des Instituts, an dem meine Kollegin und ich vor einem Monat unsere erste Stelle als Doktorandinnen angetreten haben. Alles ist noch neu und aufregend, die neuen Kolleg*innen sowie den wissenschaftlichen Betrieb lernen wir gerade erst kennen. Gen Ende der Feier in einer Bar, die Stimmung ist gelöst, alle sind schon etwas angeheitert, sitze ich an der Bar mit Professor X. Professor X eilt sein Ruf als jemand, der öfter Beziehungen mit seinen (sehr viel jüngeren) Studentinnen hat voraus. Obwohl wir im gleichen Gebäude arbeiten, haben wir uns bisher noch nicht unterhalten, wohl sind mir aber seine Blicke aufgefallen. Mit den Geschichten im Hinterkopf und daher nicht ganz vorbehaltlos entspannt sich zwischen uns dann doch ein Gespräch, das ich als sehr nett und angenehm empfinde. Später berichte ich meiner Kollegin begeistert, wie nett es war, und vor allem „gar nicht flirtend“. Als ich am nächsten Tag in meine Emails schaue, finde ich dort auch eine von ihm, geschrieben nachts um zwei. Eingeleitet wird die Mail durch „mehrere Schnaps & 1 Döner später und mit 47 Schamäffchen“. Der weitere Inhalt bezieht sich darauf, wie schön es war, mich endlich aus der Nähe zu sehen und dass wir uns bald wiedersehen sollten. Professor X ist zwar nicht mein direkter Vorgesetzter, dennoch ist unser Institut klein und er in einer wichtigen Entscheidungsposition. Zudem ist er gut befreundet mit meinem Chef. Nach langem Überlegen antworte ich, dass ich den Abend auch als sehr nett empfunden habe und den kollegialen Austausch mit ihm schätze, aber nicht möchte, dass er mir solche Emails schreibt. Ich erhalte auf diese Mail nie eine Antwort und Professor X spricht seitdem kein Wort mehr mit mir. Kolleg*innen, denen ich davon berichte, sind bestürzt, aber wenig verwundert. Ich bin anscheinend nicht die Erste, der so etwas mit Professor X passiert.
Knapp 1,5 Jahre später: Meine Kollegin und ich haben uns nach einer Häufung sexistischer Vorfälle bei uns am Institut entschieden, uns zu beschweren: Wir schreiben eine Mail an die betroffenen Professoren, in der wir einzelne Vorfälle schildern. Darunter auch die Weihnachtsfeier und das Verhalten von Professor X. Dieser schreibt mir daraufhin, dass er mir damals eine Entschuldigungsmail geschrieben habe, welche aber anscheinend nicht angekommen sei. Nach drei Nachfragen, ob ich in meinem Spamordner nachschauen könnte, schickt er mir schließlich ein wiederhergestelltes Backup der Mail, gesendet von einer anderen Emailadresse, zwei Wochen nach der Weihnachtsfeier mit dem Kommentar, dass seine alte Emailadresse wohl nicht gesendet habe.